Wenn in Europa die wirklich kalten Tage kommen, zeigt sich jedes Jahr aufs Neue, wie verwundbar das Energiesystem ist: steigender Verbrauch, volatile Großhandelspreise, politische Spannungen an den Außengrenzen der EU.
Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist klar, dass Energiepolitik keine technische Randdisziplin mehr ist, sondern Kernfrage europäischer Souveränität. Genau in diesem Kontext lohnt der Blick auf ein Thema, das auf den ersten Blick unscheinbar wirkt, aber eine erstaunliche Sprengkraft hat: Energiegemeinschaften. Und hier spielt Österreich – juristisch, technisch und politisch – weiter vorne mit als viele andere Mitgliedstaaten.
Österreich als Labor für die Energiewende von unten
Der Taylor-Wessing-Report „Energy communities in Austria and the new Electricity Industry Act (ElWG)“ vom 15. September 2025 liest sich heute, zu Beginn der Heizsaison, fast wie eine strategische Gebrauchsanleitung für einen winterfesten Energiemarkt.
Die Analyse erinnert zunächst daran, woher der Impuls stammt
Energiegemeinschaften sind kein österreichisches Spezialrecht, sondern im Clean-Energy-Paket der EU verankert – in der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2019/944 (zuletzt durch Richtlinie 2024/1711 geändert) und der Erneuerbaren-Richtlinie RED II. Sie definieren neue Marktrollen, in denen Bürger:innen, Gemeinden und Unternehmen gemeinsam Energie erzeugen, verbrauchen, speichern und untereinander handeln können.
Österreich hat diese Vorgaben früh umgesetzt – mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) und dem bestehenden Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG). Bereits bis Ende Juni 2025 waren mehr als 4.000 Energiegemeinschaften im Entstehen oder Betrieb, wie Taylor Wessing festhält.Das ist nicht nur eine beeindruckende Zahl, sondern ein Systemsignal: Die Energiewende ergänzt die Großkraftwerkslogik mit einem Netz aus vielen dezentralen Knoten.
Die ökonomische Logik dahinter ist ebenso schlicht wie kraftvoll: Je mehr erneuerbarer Strom lokal verbraucht wird, desto höher die Einsparungen bei Netzentgelten und Abgaben – und desto attraktiver werden Investitionen in PV-Dächer und Windparks.
Der neue Rechtsrahmen: ElWG als Werkzeug
Gerade weil Europa in diesem Winter wieder über Versorgungssicherheit, Preisbremsen und Gasabhängigkeit diskutiert, ist ein juristischer Deep Dive aus dem September aktueller denn je. Der Entwurf für ein neues Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) soll das bisherige ElWOG ablösen – und schärft genau jene Instrumente, die in Krisenzeiten Stabilität geben.
Der ElWG-Entwurf erweitert die Spielräume für Energiegemeinschaften und verankert zugleich neue Rollen im Markt:
- Peer-to-peer-Stromverträge zwischen Endkund:innen sollen rechtssicher möglich werden.
- Der „aktive Kunde“ wird explizit als Akteur definiert, der nicht nur Strom bezieht, sondern selbst produziert, speichert und flexibel ins Netz einspeist.
- Ein „Organisator“ kann als professioneller Dienstleister Energiegemeinschaften betreiben – inklusive Lieferantenpflichten, Abrechnung und Compliance
Wer im Winter 2025/26 über Energieautarkie spricht, kommt an dieser Ebene nicht vorbei:
Ohne klaren Rechtsrahmen bleiben Energiegemeinschaften ein Nischenphänomen. Mit ihm werden sie zu Bausteinen eines Systems, das Preisschocks abfedern, Netze entlasten und Abhängigkeiten reduzieren kann.
Dass wir dafür eine Analyse aus dem September heranziehen, ist kein Widerspruch zum News-Anspruch von Forerunners, sondern im Gegenteil eine journalistische Notwendigkeit: Der Herbst-Report liefert das juristische Gerüst, das jetzt – in der Phase des maximalen Energieverbrauchs – seine politische und praktische Relevanz entfaltet.
Wie sich dieser Strukturwandel auf Stadtebene anfühlt, zeigt Wien
Hier wird die abstrakte Idee der Energiegemeinschaft greifbar – etwa am Karmelitermarkt in der Leopoldstadt. Der Markt gilt als einer der ersten energieautarken Märkte Europas: Eine Photovoltaikanlage und ein Speichersystem machen es möglich, einen Gutteil des Strombedarfs selbst zu decken und den Standort „blackout-fit“ zu machen.
Auch andere Wiener Projekte zeigen auf: Tiefengeothermie in Aspern als „Zukunftsprojekt, das in weit über hundert Jahren noch zur Lebensqualität beiträgt“ und gleichzeitig die Versorgungsunabhängigkeit und den Wirtschaftsstandort stärkt; Smart-Meter-Roll-out bis in historische Bauten wie den Stephansdom; große PV-Anlagen wie das Öko-Kraftwerk Schafflerhofstraße als Bausteine der städtischen Stromautarkie. UND: Der eben fixierte Kauf der “ImWind” Windparks, die unter das dach der Wien Energie kommen.
Europäischer Rahmen: Energieunabhängigkeit als Sicherheitsstrategie
Während Kommunen und Länder Energiegemeinschaften von unten aufbauen, verschiebt sich auch auf EU-Ebene der Ton. Dan Jørgensen, seit 2024 EU-Kommissar für Energie und Wohnen, verbindet in seinen Auftritten Energie- und Sicherheitspolitik auffallend direkt.
In einer Erklärung zur Unterstützung der Ukraine warnte er, Europas Energieversorgung könne „nicht von irgendwem als Geisel gehalten“ werden; echte Sicherheit entstehe durch „mehr heimische Erneuerbare und bessere Verbindungen untereinander“.
Ähnlich argumentiert Jørgensen im Kontext Moldaus: Die Stärkung der Energieunabhängigkeit eines kleinen Nachbarstaates sei nicht nur Solidarität, sondern ein Baustein europäischer Resilienz und ein Weg, „heimische, saubere, stabile und unabhängige Energiesysteme“ zur Grundlage von Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu machen.
Parallel arbeitet die Kommission daran, die Abhängigkeit von russischem Gas bis Ende dieses Jahrzehnts zu beenden und neue Regeln für den Strommarkt zu schaffen, in denen Energie-Sharing-Organisator:innen und Energiegemeinschaften ausdrücklich adressiert werden.
Vor diesem Hintergrund bekommen die Tausenden Energiegemeinschaften in Österreich eine geopolitische Dimension: Sie sind Bausteine eines Europas, das seine Energieversorgung dezentralisiert, demokratisiert und damit weniger erpressbar macht.
Wenn europäische Entscheidungsträger:innen von „homegrown renewables“ sprechen, dann geht es genau um diese Brücke: Zigtausende private& öffentliche PV Dächer in Österreich und eine Potenzierung der Windkraft als Antwort auf die geopolitischen Frage, ob Europa im Winter 2030 seine Energie noch aus autoritären Regimen beziehen muss
Quellen:
Taylor Wessing: „Energy communities in Austria and the new Electricity Industry Act (ElWG)“, 15.09.2025; EU-Kommission / Presscorner, diverse Meldungen zu Ukraine- und Moldau-Energiepaketen sowie Energiebinnenmarkt; Europäische Kommission – Informationsseite „Energy communities“; Stadt Wien / Wien Energie / Wiener Netze – Presseaussendungen und Projektberichte; MeinBezirk.at: „Erster energieautarker Markt Europas entsteht in Wien“, 12.05.2024




