Stefan Selden: Ist die EU-Taxonomie-Verordnung ein Bürokratiemonster?

ESG-Umsetzung in der Praxis: Überregulierung oder notwendige Standardisierung?

Die Mammutaufgabe: Massive Transformation in kurzer Zeit

Sustainable Finance Disclosure Directive, Task Force on Climate-Related Financial Disclosures, Partnership for Carbon Accounting Financials, Science Based Targets Initiative, EBA guidelines on Loan Origination and Monitoring, FMA Leitfaden zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisken, Offenlegungen gem. Capital Requirements Regulation 449a, Global Reporting Initiative, Corporate Sustainability Reporting Directive, EU Taxonomie Verordnung… und das sind noch nicht alle der relevanten Initiativen, Regularien, Offenlegungsverordnungen, die im Finanzsektor von Bedeutung sind oder sein werden. Da kann einem schon durchaus schwindelig werden. Es drängt sich also die Frage auf: Sind die alle verrückt? Wer soll das lesen, wie spielt das zusammen, erstickt das nicht die Wirtschaft

Nun ja, es ist natürlich viel. Andererseits stehen wir vor einer Mammutaufgabe nämlich einer massiven Transformation der Wirtschaft in sehr kurzer Zeit – und ganz von selbst wird die wohl nicht stattfinden. Und zur Beruhigung: Viele von den obigen Themen beziehen sich aufeinander, bilden die Basis für einander und ähnliches. Aber macht all diese Regulierung Sinn?

Diese große Frage werden wir heute nicht final beantworten können, aber ich möchte zur Versachlichung der Diskussion mal ein in Europa sehr relevantes Thema herausgreifen: die sagenumwobene EU-„Taxonomieverordnung“: gut 600 Seiten stark, mit Verweisen wohl eher Richtung 14,000 Seiten und noch nicht mal fertig. Wer soll das alles lesen? Nun ja. Ich habs in Teilen versucht und zur Beruhigung: Es haben sich in sehr kurzer Zeit sehr interessante und auch handhabbare Tools und Lösungen entwickelt, wie man die Taxonomie in der Praxis umsetzen kann. Wo es wirklich hingeht werden die ersten Veröffentlichungen der von der Taxonomie betroffenen Unternehmen

Nochmal zurück aber: Wozu das alles?
Untechnisch gesprochen hatte die EU Kommission genug davon, dass gefühlt jedes Unternehmen für sich definieren konnte was Nachhaltigkeit bedeutet. Mir wurde zum Beispiel einmal bei einer großen Tankstellen-Kette in der Nähe am Diesel-Zapfhahn angeboten, einen Cent mehr pro Liter zu zahlen und schwuppdiwupp, wäre meine gesamte Tankfüllung schon nachhaltig gewesen. Ob das für das 1,5 Grad Klimaziel wirklich reicht…?. Man kann zum Thema „greenwashing“ viel lesen, es gibt auch recht offene Kritik an ESG Ratings, weil sie teilweise sehr subjektiv sind und bei den gleichen Unternehmen sehr unterschiedliche Ergebnisse bei verschiedenen Agenturen rauskommen.

Stefan Selden, Gastkolumnist Forerunners Network

Was ist also der Lösungsvorschlag der EU? Wenn man sich die Mühe macht den Bericht der „technical expert group“ (der im Gegensatz zu den immer recht sperrigen Verordnungstexten sehr leserfreundlich ist) zur Hand nimmt, der die Basis für die Verordnung bildet, muss man schon den Hut ziehen. Hier saßen ein paar schlaue Köpfe zusammen. Zuerst die Grundregeln

  • Es gibt 6 Umweltziele: von Klimaschutz über Biodiversität bis zur Kreislaufwirtschaft
  • Eine nachhaltige Wirtschaftstätigkeit muss in min. einem dieser Ziele einen substantiellen Beitrag leisten
  • UND (ganz wichtig aus meiner Sicht): darf in keinem anderen Bereich signifikanten Schaden anrichten
  • sowie ein Mindestmaß an Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte erfüllen

Das klingt jetzt natürlich schön und in den meisten Sonntagsreden würden hier wohl die meisten zustimmen. Was die EU Taxonomie aber so mächtig (weil konkret) macht ist, dass sie es nicht bei Überschriften belässt, sondern ins schmerzhafte Detail geht. Noch sind nicht alle Umweltziele definiert, doch in den ersten beiden zeigen die VerfasserInnen, dass sie es ernst meinen. In den sogenannten technischen Screening-Kriterien wird für CO2-intensive Tätigkeiten sehr genau definiert wo man hin muss, um „grün“ zu sein. Von der Energieffizienz von Gebäuden, über den CO2 Verbrauch bei der Stahlherstellung. Und die Vorgaben sind schwer zu erreichen. Die meisten Experten schätzen, dass momentan unter 10% aller Wirtschaftsaktivitäten den EU „Nachhaltigkeitsstempel“ bekommen werden.

Es ist aber nun mal so, dass ein Großteil des Weges noch vor uns liegt.

Aus diesen Kriterien ergeben sich dann die vielen Seiten. Und darauf fußt auch die Kritik, dass die Verordnung ein Bürokratiemonster sei. Nun ja. Ich verstehe und teile manches daran. Wäre es aber möglich, solch ein komplexes Unterfangen ohne verbesserungswürdigen Bereiche, ohne teilweise überschießende Regelungen umzusetzen? Ich denke nicht. Und ich denke, dass wir die Umsetzung der Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft nur mit einem ambitionierten Regelwerk schaffen werden. Wir werden natürlich viele Innovationen, unternehmerisches Handeln und Arbeit brauchen. Wir werden die Taxonomie auch weiter verbessern müssen und vor allem Umsetzungshilfen für Unternehmen und die Finanzwirtschaft brauchen.

Es hilft aber, wenn Ziele konkret definiert werden. Streiten wir gerne darüber, wo übertrieben wurde, wo etwas vergessen wurde, aber fangen wir an an den Zielen zu arbeiten. Und dafür ist es notwendig diese zu definieren. Hier hat die technical expert group und die EU Kommission einiges an Vorarbeit geleistet.

Das Ziel der EU Taxonomie ist es nicht, nicht-nachhaltige Tätigkeiten zu verbieten (jedes Unternehmen darf alle Ziele auch vollends verfehlen. Es muss ab einer gewissen Größe aber über die vorhandene oder eben nicht vorhandene Taxonomiekonformität berichten). Das Ziel ist, dass Transparenz geschaffen wird, was „wirklich“, bzw. nach einem nachvollziehbaren Standard nachhaltig ist und dass dadurch Kapital in diese Bereiche fließt. Daher ist die Taxonomie auch für die Banken so relevant. Sie werden in einen Wettbewerb kommen, wer wieviel an nachhaltigen Krediten vergibt. Fonds werden ausweisen, wieviel taxonomie-konforme Assets sie im Portfolio haben, die EU und die Nationalstaaten werden hunderte Milliarden Euro in Projekte zur Erreichung von Taxonomie-Konformität stecken und mittelfristig wird es auf dieser Basis verlässlichere Nachhaltigkeitslabels für Konsumenten geben. Das klingt für mich schon nach einem schlauen Plan, wenn er aber natürlich auch mit einigem bürokratischen Aufwand verbunden ist. Am Ende wird’s meine Tankstelle um die Ecke aber deutlich schwerer haben Diesel als nachhaltig zu verkaufen. Jedenfalls nicht nach der EU Taxonomie.

Links: TEG final report on the EU taxonomy (europa.eu

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