Stefan Selden: Hat das „G“ die Credit Suisse umgeworfen?

Unser Experte und Gastautor verortet “governance at its worst”: Schlechte Entscheidungen, fehlende Unternehmens- & Risikokultur verursachten den „Bankrun“, der die Zeit bewegt. Eine beinharte Analyse und Vergleiche mit der Silicon Valley Bank.

“Die Bankenbranche befasst sich momentan stark mit dem „E“ aus ESG. Das macht auch Sinn, worauf ich in einem meiner nächsten Beiträge auch noch genauer eingehen möchte. Aber heute sehen wir uns mal an, was passiert, wenn das „G“, also die governance zu lange und in zu großem Ausmaß unterbelichtet ist.

Too big to fail?
Unternehmensethik und Unternehmenskultur, Beziehungen zu Geschäftspartnern und Stakeholdern, angemessene Vergütungspolitik, interne Kontroll- und Risikosysteme sind
Beispiele aus einem langen Katalog an Themen von „good governance“ oder „guter Unternehmensführung“.

Kann eine Bank mit mehr als einer halben Billion Bilanzsumme, also in Zahlen 530,000,000,000,- Schweizer Franken a) an solchen vermeintlichen soft-fact-Themen Zugrundegehen und b) kann es sein, dass eine solche Institution in diesem Bereich solche Schwächen hat? Nun ja, ich würde sagen a) „ja“ und b) „sieht stark so aus“!

Aber woran ist die Credit Suisse zugrunde gegangen?
Am Ende kollabieren Banken, wenn ihnen das Geld ausgeht. Liquiditätsprobleme, „Bankruns“, das sind die Albträume jedes Bankmanagers. Banken leben davon, dass man darauf vertraut, dass sie solvent, also flüssig sind, dass ich mir mein eingelegtes Geld jederzeit von der Bank wieder holen kann. Banken lagern aber das eingelegte Geld nicht einfach und warten darauf, dass man es wieder abhebt (wenn man das möchte, bleibt nur die Option „Bargeld im Safe“ oder natürlich der etwas unsicherere Kopfpolster).

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Was ist ein „Bankrun“?

Von einem „Bankrun“ spricht man dann, wenn es zu einem Bank-Ansturm oder Schalter-Ansturm kommt. Also, wenn der Ansturm der Kunden, die ihr Geld, ihre Einlagen plötzlich abheben wollen, so groß ist, dass die Bank ins Trudeln oder gar in die Insolvenz gerät. Betrifft dies sogar mehrere Banken gleichzeitig, spricht man von einer Bankenpanik.

Banken arbeiten mit dem Geld, vergeben Kredite, kaufen Wertpapiere, etc. Es gibt strenge Regeln in welchem Rahmen das erfolgen darf. Welches Eigenkapital muss für welche Geschäfte vorgehalten werden, wie viel Liquidität (Bargeld oder hochliquide Wertpapiere) muss gebunkert werden. Das alles wird auch in regelmäßigen „Stresstests“ geprüft, man simuliert hierbei, dass verschiedene Faktoren auftreten, die zu ungewöhnlich hohen Mittelabflüssen führen und trotzdem muss die Bank auch in diesem Szenario liquide bleiben können.

Wirklichkeit sprengt jedes Stressszenario
Am Ende gibt es aber keine hundertprozentige Sicherheit. Die Credit Suisse unterlag halbwegs sinnvollen Eigenkapital- und auch Liquiditätsanforderungen (übrigens ein Unterschied zur Silicon Valley Bank). Wenn aber innerhalb weniger Wochen mehr als 100 Milliarden an Einlagen von nervösen Kunden abgezogen werden und trotz der Nachricht der Schweizerischen Nationalbank, dass sie bereit ist, weitere EUR 50 Mrd. an Zusatzliquidität zur Verfügung zu stellen, an einem einzigen Tag weitere zehn Milliarden abgehoben werden, dann sprengt die Wirklichkeit jedes Stressszenario. Einfach formuliert kann man sagen, dass keine Bank so aufgestellt sein kann, dass sie einen „Bankrun“ dieser Größenordnung verkraftet.

Koste es, was es wolle”, das kennen wir. Die Schweizer Version kleckert nicht, sondern wirft 200 Milliarden in die Schale
Die spannende Frage ist also, wieso ein solcher „Bankrun“ überhaupt losbricht. Das hat viel mit Vertrauen, mit Psychologie und mit einem gewissen Herdenverhalten zu tun. Bei der Credit Suisse war es ein schleichender Prozess. Es gab in den letzten Jahren immer wieder schlechte Nachrichten und 2022 häufte sich die schlechte Presse.
Ein verunglückter Prozess, eine Restrukturierung anzukündigen, Verluste, ein Kern-Aktionär, der mitteilte, dass er sicher kein weiteres Geld mehr einschießen würde und dazu wilde Twitter-Meldungen. Der Abfluss von Einlagen nahm über Wochen stetig zu, der Aktienkurs kam unter Druck, die Bank ins Gerede. Es dauert bei großen Banken mit gutem Namen recht lange, bis eine Stampede losbricht, also die „Herde“ der großen und kleinen Einleger in Panik gerät, weil sich immer mehr Leute plötzlich vorstellen können, dass sogar ein Schweizer Flaggschiff wie die Credit Suisse sinken könnte. Wenn die Stampede aber einmal da ist, ist sie kaum noch einzufangen. Am Ende blieb der Schweizerischen Nationalbank gemeinsam mit der Regierung nur die Lösung, die zweitgrößte Bank des Landes an die größte unter Hochdruck zu verkaufen und mit Haftungen und Liquiditätsgarantien bis zu 200 Milliarden zu zeigen, dass man keine Pleite einer Schweizer Großbank zulassen wird, „koste es was es wolle“ (© Mario Draghi).

Was hat das mit der Governance zu tun?
Banken gehen also zugrunde, wenn ihnen das Geld ausgeht. Das Geld geht ihnen am Ende aus, weil die Einleger kein Vertrauen mehr haben, dass die Bank solide wirtschaftet, dass sie nachhaltig gesund ist. Oft sind Verluste aus vergebenen Krediten die ursächlichen Gründe, oder ein dramatisches Absinken von Bewertungen einer „Asset-Klasse“. Bei Lehman Brothers 2008 war das einer der Hauptgründe (gepaart mit extremer Risikobereitschaft und extrem kurzfristiger Refinanzierung) , bei der BAWAG 2006 war es vor allem ein einzelnes (für die Bank viel zu großes) Spekulationsgeschäft. Bei der Silicon Valley Bank war es das Absinken von Anleihenwerten. Und bei der Credit Suisse? Es war nicht eine einzelne Assetklasse, keine systemische Krise im Bankensektor und auch kein „schiefliegendes“ Einzelgeschäft. Es war eine Häufung von schlechten, oft skrupellosen Entscheidungen, die von außen betrachtet auf eine ziemlich lausige Unternehmens- und Risikokultur, auf fehlende Kontrolle schließen lassen.

  • Governance at its worst – mixed pickles der Fahrlässigkeit:

Ein paar Highlights, welche die deutsche „Zeit“ zusammengetragen hat:
> 2014: 2,6 Milliarden Dollar Strafe wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in den USA, sowie Strafe wegen Manipulierung des LIBOR-Zinssatzes (na gut, da waren zugegeben einige Banken mit von der Partie).
> 2016: Die Bank organisiert und vertreibt eine Anleihe an den Staat Mosambik in der Höhe von einer Milliarde Dollar. Mosambik will damit Schiffe für eine Fischfangflotte anschaffen. Das Geld geht aber großteils in die Taschen korrupter Politiker und Mittelsmänner, zum Teil in die Provisionen der Bank. Mosambik geht kurz danach in Default, Credit Suisse zahlt 475 Millionen Dollar Strafe.
> 2021/2022: Credit Suisse zahlt ihren Kunden 7,4 Milliarden Dollar zurück, da diese mehr als zehn Milliarden an Schäden aus Wertpapieren haben, die die Bank sehr aktiv vertrieben hat. (Greensill-Skandal). Die Schweizer Bankenaufsicht urteilt in ihrem Abschlussbericht, dass die Bank in „schwerer Weise“ gegen das Aufsichtsrecht verstoßen hat.
> Dazwischen werden ehemalige Topmanager observiert, man verbrennt sich die Finger bei einem anderen Hedgefonds, wobei der Hauptakteur bereits davor zig Millionen Dollar Strafe wegen Insiderhandels bezahlte.

In den letzten zehn Jahren gönnt sich die Bank angeblich 32 Milliarden Franken an Boni, obwohl man kumuliert kaum 10% davon Gewinn gemacht hat.

Dazu passt als kleine Kirsche auf dem Schlagobershäubchen, dass in den ersten Tagen nach der Rettung (jedes normale Unternehmen wäre da bereits formal insolvent und unter Kontrolle eines Masseverwalters gewesen) die Konzernleitung in der Bank verbreiten lässt, dass die Boni für die MitarbeiterInnen natürlich wie geplant fließen werden.

Stefan Selden

Wo waren also die Kontrollen zur Geldwäsche, wo waren wirksame Regelungen zur Korruptionsbekämpfung? Wo waren Risikomanagement-Prozesse, die verhindern, dass man von einem Debakel ins nächste taumelt und sich dabei auch noch fürstlich entlohnt?

Fehler können immer passieren, in Banken können diese Systemimmanent auch leider immer wieder etwas größer ausfallen. Wenn ein Haus aber nach der Bankenkrise, inklusive der Empörung über das Verhalten einiger Banken im Vorfeld davon, der sich stark verändernden Diskussion über (selbst Schweizer) Banken und Geldwäsche, das ernsthafte Aufkommen von ESG noch immer in so viele Skandale so tief verwickelt ist, dann spricht viel dafür, dass es sich nicht um Pech, oder „ehrliche Fehler“ handelt. Es spricht vieles dafür, dass ganz wesentliche Governance-Regeln, Kontroll- und Risikosysteme gefehlt haben, dass es keine adäquate Unternehmens- und Risikokultur gab, bzw. diese offensichtlich nicht gelebt wurde. Meist spielt hier der sogenannte „tone on the top“, also das Verhalten des Top-Managements eine wesentliche Rolle.

Es spricht also vieles dafür, dass das „G“, bzw. der Mangel davon die Credit Suisse umgeworfen hat. Und der Mangel an „G“ hat übrigens bei sehr vielen anderen Bankenpleiten in der Geschichte ebenfalls eine ganz wesentliche Rolle gespielt.”

Über Stefan Selden:

Stefan Selden arbeitete in Österreich, Kasachstan und in der Balkan-Region. Er bekleidete Führungspositionen in der UniCredit Bank Austria, Hypo-Alpe-Adria und war Risikovorstand der Addiko Bank Gruppe. Danach baute er mit Partnern einen Boutique-Berater, Investor und Asset Manager auf. Er beschäftigt sich seit einigen Jahren mit ESG-Lösungen für Finanzunternehmen.
Link: http://www.720restructuring.com/

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