Yvon Chouinard: Es gibt keine Jobs auf einem toten Planeten!

“Radikal nachhaltig” ist wohl eine der Beschreibungen, die auf Patagonia-Gründer Yvon Chouinard zutrifft. “Radikal inspirierend” ebenso, wenn man seine Autobiografie als das liest, was sie für die Forerunners dieser Welt sein soll: eine Inspiration und Anleitung, wie Unternehmen dazu beitragen können, ein Teil der Lösung und nicht ein Teil des Problems zu sein. So wurde das obige Zitat David Browers* sein Handlungsmotto zu einer beispiellosen Reise:

Ein Beitrag von Julia Heuberger-Denkstein

Naturliebhaber und Extremsportler. Autodidakt und Multimillionär. Pionier und Umweltaktivist.
Dabei wollte der Sohn zweier Franko-Kanadier, der im Kalifornien der 50er- und 60er-Jahre groß geworden ist, alles andere, als ein Business man werden. Wie ein Mantra wiederholt er es in jedem seiner Interviews.
„Es ist die Wirtschaft, die den Großteil der Schuld auf sich nehmen muss, weil sie der Feind der Natur ist, weil sie Kulturen zerstört, den Armen nimmt und den Reichen gibt und weil sie die Erde mit den Abwässern ihrer Fabriken vergiftet“, schreibt der Patagonia-Gründer in den allerersten Zeilen seiner Erfolgs-Autobiografie „Let my people go surfing“.

Die Memoiren Chouinards (sprich: Üwo Schuinar) sind bereits 2005 erschienen, aber lesen sich im Jahr 2023, als wären sie eine Anleitung für Wirtschaftsbetriebe von heute, die aufgrund von CSRD, Taxonomie & Co. allesamt vor der Frage stehen: Wie können wir als Unternehmen nachhaltig(er) agieren?

Yvon Chouinard, Kletterer, Visionär, Milliardär, Umweltaktivist (Fotoy by Tom Frost)

Folgt man den Ausführungen des heute 84-Jährigen, der als „größter Umweltaktivist der amerikanischen Wirtschaft“ bezeichnet wird, gilt es dabei lediglich ein paar Regeln zu befolgen. Diese sollen hier anhand der Erfolgsgeschichte von Yvon Chouniard und seinen Unternehmen aufgezählt werden und können als Inspiration oder auch als Anleitung dienen.

Der Schlüssel lag und liegt in der zugrundeliegenden Motivation, warum es sich für den Autodidakten, der ursprünglich Trapper werden wollte, überhaupt lohnt, zu arbeiten. Im noch wilden Kalifornien der 50er-Jahre beginnt der 14-Jährige zu klettern, mit 16 bringt er sich selbst das Schmiedehandwerk bei.

Warum? Ganz einfach, der Einzelgänger und Sonderling will sich seine
eigenen, optimalen Kletterhaken schmieden. Die damals handelsüblichen „Pitons“ aus Europa waren für „seine“ Berge im Yosemite-Nationalpark ungeeignet, weil der Stein dort hier härter ist.

Yvon Chouniards Regeln:

1. „Arbeite, um zu leben“, nicht „lebe, um zu arbeiten“ – und ermögliche dieses Motto auch deinen Mitarbeitern.
Im Fall von Yvon Chouinard bedeutete diese Einstellung herausfordernde Felshänge zu klettern, Bigwaves zu surfen, Fliegenzufischen, Falken abzurichten, Kajak zu fahren und monatelang in der Wildnis zu kampieren. Auf dem ersten Firmenschild stand, dass Kunden in den Monaten April bis Juli mit Lieferschwierigkeiten zu rechnen hätten – weil er selbst zu dieser Zeit lieber in den Felshängen dieser Welt hing. 50 Jahre später besitzt dieses Motto noch immer Gültigkeit und ist die Motivation, die den Firmenchef und seine Angestellten eint. Anfangs waren die Mitarbeiter allesamt Kletterfreunde und später deren Freunde und Familien. Alle mit dem unwiderstehlichen Drang nach Aktivität in der freien Natur versehen. Nicht umsonst lautet der Titel seiner Autobiographie „Lasst meine Leute surfen“. Jeder Mitarbeiter hatte und hat dank der sogenannten „Flextime“ die Zeit, um genau dann „Wellen zu reiten, wenn sie gerade perfekt brechen; durch den Pulverschnee zu fahren, wenn es frisch geschneit hat, oder auch, sein krankes Kind zu versorgen“, schreibt Chouniard.

Patagonia kann heute für eine neu ausgeschriebene Stelle aus mindestens 900 Bewerbern wählen!

Es ist die ausgewogene Work-Life-Balance, die ihre Wirksamkeit auch auf den Gebieten entfaltet, die für alle CFOs und CEOs dieser Welt so bedeutsam sind: Umsatz, Erfolg, Produktivität und Engagement der Mitarbeiter – der lebende Beweis ist die Erfolgsgeschichte von Yvon Chouinard und seines mittlerweile Multi-Millionen-Dollar-schweren Bekleidungsunternehmen Patagonia.

In den 1950ern, rund zwanzig Jahre Patagonia bevor gegründet war, ging es Chouinard lediglich darum, bestehende Kletterhaken so zu verbessern, um sie seinen Bedürfnissen vor Ort optimal anzupassen. Er feilte so lange, bis er die „perfekten“ Pitons aus einem neuen Material, Eisen, entwickelt hatte. Nach und nach wollten auch Freunde und Kletterkollegen das „State-of-the-Art-Equipment“ des Extremsportlers haben – und der Grundstein für das erste Unternehmen war gelegt:
Chouinard-Equipment, das 1956 in einer Garage in Burbank, Kalifornien gegründet und wo von Hand geschmiedetes Kletterwerkzeug produziert wurde.

Chouinard Equipment im Firmenfoto 1969 von links: Tom and Dorene Frost, Tony Jessen, Dennis Henneck, Terry King, Yvon Chouinard, Merle, and Davey Agnew (Foto by Tom Frost).

Dabei folgte der junge Chouinard schon damals jenem Design-Prinzip, das heute als eines der Grundprinzipien der Kreislaufwirtschaft bekannt ist: „Designing out waste“. Zu deutsch: Reduzieren von Abfall durch durchdachtes Design von Anfang an. Chouinard und seine ersten Geschäftspartner, ein befreundetes Kletter-Ehepaar, folgten bei der Entwicklung ihrer Komponenten konsequent dem zeitlos gültigen Grundsatz:

2. Einfachheit als Grundprinzip für jedes Design.
Jedes Produkt muss so lange verbessert werden, um es stärker, leichter, einfacher und funktioneller zu machen. „Das Studium des Zen hat mich das stete Vereinfachen gelehrt. Die Vereinfachung ist es, die zu einem reicheren Ergebnis führt,“ schreibt Chouinard. Zwölf Jahre nach der Gründung war das Unternehmen bereits das größte für Outdoor-Bedarf in Nord-
Amerika – wegen der außerordentlichen Qualität und dem bestechend simplen Design seiner Produkte.
In den 1970ern erfreute sich das Klettern immer größerer Beliebtheit, was einerseits den Verkauf ankurbelte, aber auch die Anzahl an Löchern vervielfachte, die mit den Stahlhaken der Kletterer in die Felsen gehämmert wurden. Beliebte Kletterrouten auf Felshängen im Yosemite Valley, im El Dorado Canyon oder den Schawangunk Mountains bei New York wurden auf diese Art und Weise stark in Mitleidenschaft gezogen. Sehr zum Missfallen Yvon Chouinard, der aus diesem Grund seine erste radikale Geschäftsentscheidung (von vielen) im Sinne der Umwelt traf:

3. Die saubere Alternative wählen, auch wenn es das eigene Geschäft kurzfristig zu untergraben scheint.
Chouinard begab sich auf die Suche nach einer „sauberen“ Alternative zu seinen erfolgreichen Pitons. Er und seine Kollegen entdeckten schließlich die noch weitgehend unbekannten Aluminiumkeile, die einige Kletterer in England benutzten. Diese können lediglich mit der Hand in Felsspalten und -risse platziert und auch wieder herausgenommen, anstatt wie die Pitons, hinein- und herausgehämmert
zu werden. In ihrer Werkstatt entwickelten sie die neuen Kletterhaken so lange weiter, bis auch das neue Werkzeug ihren hohen Ansprüchen genügte. Die Herausforderung dabei war, Kunden und Community von der zwar sauberen, aber noch unbekannten Alternative zu überzeugen.

Tom Frost, Royal Robbins, Chuck Pratt und Yvon Chouinard (re.) am Gipfel des El Capitan am 30 October 1964. (Foto by Tom Frost)

4. Erziehe deine Kunden und Partner und nimm sie mit, auf die Reise in Richtung
Nachhaltigkeit.

Im ersten Katalog, der 1972 erschien, publizierte Chouniard-Equipment als Vorwort ein 14-seitiges Manifest, in dem Kletterlegende Doug Robinson erklärte, wie man die „Stoppers“ und „Hexentrics“ genannten neuen Kletterhaken zu benutzen hat.

Und zwar mit dem beeindruckenden ersten Satz:
„Es gibt ein Wort, und dieses Wort ist sauber. Sauber, weil der Stein unverändert fortbestehen kann, sauber, weil die Erfahrung für nachfolgende Kletterer eine unverfälschte ist und sauber, weil geklettert wird, ohne die Natur zu verändern.“

Aufgrund der anfangs heftigen Widerstände und Proteste aus der Community, gingen Chouinard und einige Freunde mit den noch Ungläubigen höchstpersönlich kletterten. Sie führten sie auf die legendäre „Nose“-Route am El Capitan in Yosemite – und zwar ohne Pitons und Hammer, dafür mit den neuen Aluminiumkeilen. Der
Firmenchef und seine Freunde zeigten den Menschen, wie es möglich ist, auf „saubere“ Art und Weise selbst die gefährlichsten Routen zu klettern. Dank der Überzeugungsarbeit erfreuten sich die neuen Keile innerhalb weniger Monate größter Beliebtheit, die alten Pitons wurden zum Auslaufmodell.

5. „Gut ist gut genug.“
80-Prozent an Professionalität zu erlangen ist ausreichend, alles andere wäre Obsession. Dafür kann man sich dann einer völlig neuen Sache zuwenden.
„Sobald ich die 80-Prozent-Marke erreicht habe, möchte ich etwas völlig anderes machen. Das erklärt wahrscheinlich die Vielfalt der Patagonia-Produktlinie – und warum unsere vielseitige, multifunktionale Kleidung am erfolgreichsten ist“, schreibt Chouinard in seinen Memoiren.

In den späten 60er-Jahren kam ihm auf einer England-Reise die erste Bekleidungs-Idee, der Grundstein für die spätere Gründung von Patagonia. Er stoppte bei einer alten Cord-Fabrik aus dem 19. Jahrhundert, befand den weichen Stoff mit den tief gepolsterten Bahnen als optimal für Kletter-Outfits. Wenig später, auf einer Reise nach Schottland, kaufte er anstatt der damals üblichen, eintönig grau-weißen Chino-Hosen mit weißem T-Shirt-Kombination als Kletter-Outfit, ein blaues Rugby-Shirt mit Kragen
und rot-gelben Streifen. Dies wurde sein allererster Verkaufsschlager.

Stete Neugier, Probieren mit neuen Stoffen, Entwickeln von Produktinnovationen wie die erste Funktionswäsche aus Polyester, Synchilla-Fleece oder das Multi-Layer-Verfahren bei Sportbekleidung ist in unablässigem Suchen, Finden, Probieren und Trial- and Error-Schleifen entstanden.

6. Innovationen entstehen nur durch ernsthaften Willen, Ausdauer und die nötigen Investitionen.
„Mit Synchilla haben wir eine wichtige Lektion im Geschäftsleben gelernt: Der Stoff wäre nie entwickelt worden, wenn wir nicht aktiv unsere eigene Forschung und Designentwicklung gestaltet hätten. Um unser Labor und unsere Stoffentwicklungsabteilung wurden wir mit der Zeit von der gesamten Industrie beneidet“, erinnert sich Chouinard.

Ein weiterer Grund, warum Patagonia heute so erfolgreich ist. Aber der Firmenchef war trotz des Erfolgs im Herzen der noch immer selbe Rebell geblieben. “Da ich nie ein Geschäftsmann sein wollte, brauchte ich ein paar gute Gründe, um doch
einer zu sein. Die Regeln zu brechen und mein eigenes System zum Laufen zu bringen, ist der kreative Teil des Managements, der mich besonders befriedigt.”

Auf der Suche nach einem befriedigendem Geschäftsmodell, das zwar harte Arbeit, aber trotzdem noch Spaß an der Sache bereithält, traf er auf den North-Face und den späteren Esprit-Gründer Doug Tompkins.

6. Sich vernetzen und lernen von denen, die es bereits können.
Mit Tompkins teilte er seine Werte, von dessen bereits erfolgreichen Unternehmen lernte das noch junge, aber stark wachsende Unternehmen Patagonia die üblichen Fehler zu vermeiden und die Vorteile eines „organischen Wachstums“.

Noch immer hatten die Leute bei Patagonia Spaß an der Arbeit: Surfen in der Mittagspause am Ventura Beach nahe dem Headquarter, gemeinsame Wochenend-Trips in die Berge, Beachvolleyball-Partien im Hinterhof, spielende Kinder in der
firmeneigenen Kindergrippe, Flextime, Job-Sharing-Modelle und gesundes Essen in der Cafeteria.

Auf Reisen in Afrika, Russland und der ganzen Welt, die der Gründer unternahm, um neue Geschäftsideen, neue Stoffe, neue Produkte und Ideen für sein Unternehmen zu entdecken, nahm er auch die immer weiter fortschreitende Zerstörung der Umwelt wahr, die er so liebte.

Als überaus erfolgreicher Geschäftsmann, Familienvater und Gründer von zwei Unternehmen kehrte Chouniard in den 1980ern zurück zu seinen Wurzeln als Naturalist und Aktivist. Den Ausschlag gab ein Mitarbeiter, der sich für die Rettung des Ventura-Rivers und dessen Mündung unweit des Headquarters von Patagonia einsetzte und den das Unternehmen beschloss, zu unterstützen.

7. Grassroot-Aktivismus wirkt.

„Mark hat uns zwei wichtige Lektionen beigebracht: Bemühungen an der Basis können etwas bewirken und zerstörte Lebensräume können mit viel Mühe wiederhergestellt werden“, schreibt Chouinard.

Die geplante Flussverbauung wurde gestoppt, der Swell für die Surfer und gleichzeitig die Wiederansiedelung der ursprünglichen Fauna des Flusses glückte. Dieses Ereignis gab den Ausschlag für eine Aktion, die schon damals, im Jahr 1986, für Aufsehen sorgte: Patagonia verpflichtete sich, jährlich 10 Prozent des Gewinns oder 1 Prozent des Nettoumsatzes – je nachdem, welche Zahl die höhere ist – an Aktivistengruppen und kleine Umweltorganisationen zu spenden, die sich für den Schutz und Erhalt der Natur einsetzen.

Bis heute hat Patagonia auf diesem Weg insgesamt mehr als 89 Mio. US-Dollar an Sach- und Geldspenden an Umweltschutzgruppen weltweit gespendet, die in
ihrem direkten Umfeld Zeichen setzen. Die Gründung der “1% for the Planet”-Stiftung im Jahr 2002 war der nächste logische Schritt.
Auch heute wird auf der Patagonia-Website prominent für die gemeinnützige Vereinigung geworben, deren Ziel es ist, auch andere Unternehmen zu motivieren,
ihren Anteil am Umweltschutz zu leisten.

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Heute, 50 Jahre nach der Gründung, lautet die Mission des 1500-Mitarbeiter zählenden
Unternehmens Patagonia, das einen Jahresumsatz von einer Milliarde Dollar erwirtschaftet, so:

9. „Use business to inspire and implement solutions to the environmental crisis”.
Der milliardenschwere Gründer der Outdoor-Modemarke Patagonia hat sein Unternehmen an eine gemeinnützige Stiftung verschenkt. 83 Jahre ist Yvon Chouinard alt, als er im Herbst 2022 beschließt, den allergrößten Anteil seines kalifornischen Outdoor-Kultlabels fortan an die gemeinnützige Organisation namens Holdfast Collective zu übertragen. Die, so Chouinard, „jeden erhaltenen Dollar so schnell wie möglich zur Bekämpfung der Umweltkrise, zum Schutz der Natur
und der Artenvielfalt und zur Unterstützung florierender Gemeinschaften verwenden wird.”

Damit kommen geschätzte 100 Millionen jährlich dem Gemeinwohl und unserer Erde zugute. Ein radikaler, ein genialer und ein inspirierender Move. Mit dieser Entscheidung trägt Yvon Chouniard mit Patagonia nachhaltig und äußerst wirksam zu dem bei, was er als Naturliebhaber und Rebell immer wollte: Nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein. Auf der Patagonia-Website stand zu lesen: „Ab sofort ist die Erde unser einziger Anteilseigner“.

“There are no jobs on a dead planet”, sagte er gerne und oft. Es gibt keine Jobs auf einem toten Planeten.

*Link zur Wikipedia Bio von David Brower

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