Mann oh Mann: neue Archetypen gesucht

Eine emanzipatorische Überlegung zum Mann-Sein heute, anlässlich des Weltfrauentages.

von Julia Heuberger- Denkstein

Die Entwicklung stößt uns mit der Nase darauf, dass etwas im Argen liegt zwischen der männlichen und der weiblichen Hemisphäre.

Gerade in den letzten Wochen häufen sich wieder die Schreckensmeldungen: Fünf Femizide an nur einem Tag allein in Wien. Sexuelle Gewalt an uns Frauen – nicht nur in Kriegsgebieten oder der moslemischen Welt. Auch in Europa feiert das Patriarchat weiterhin so gut wie ungebremst seine desaströsen Urstände. Strukturelle Benachteiligung durch ungleiche Bezahlung oder Postenvergabe, gar-nicht-Bezahlung für Sorge- und Haushaltsarbeit, Altersarmut, ungleiche Gesetze und Unterdrückung der Weiblichkeit, wohin das Auge blickt. Die Lamentos, Anklagen und Aufschreie der weiblichen Hälfte der Menschheit anlässlich des Weltfrauentages kennen wir zur Genüge. Jedes Jahr aufs Neue blicken wir fassungslos zurück auf das letzte Jahr: Es hat sich wieder nur so gut wie gar nichts geändert in puncto Gewaltprävention, Frauen-Rechte, Gleichbehandlung oder einem Leben auf Augenhöhe. Die Machthaber dieser Welt steuern mit ihrem patriarchalisch-kapitalistischen Wertesystem weiterhin schnurstracks und zielsicher auf den Abgrund zu. Doch: Muss das so sein – und vor allem kann es noch lange so bleiben?

Nein! Lautet die Antwort aus weiblicher Sicht.

Nein, lautet die Antwort auch von immer mehr Männern, die erkennen, dass Gewalt und Härte, Konkurrenz und Leistung, Krieg und Zerstörung, Reichtum und Macht allein nicht der Weg sind. Weder zum persönlichen Glück noch für das Wohl und Überleben der Menschheit auf diesem Planeten. Doch was braucht der Mann von heute, um sich selbst und uns Frauen glücklich zu machen? Ganz zu schweigen von einer heilen Welt, wo Frieden herrscht – Frieden mit uns selbst und zwischen den Geschlechtern?

Männer von heute sind keine einsamen Helden

„Männer sind in Ihrem Mann-Sein so verunsichert wie noch nie“, konstatiert Robert Förg, Unternehmer, Pädagoge und Wegbegleiter, der seit Jahren Männer-Coachings und Männer-Seminare im bayerischen Chiemgau leitet und dabei der Frage nachgeht: Welche Eigenschaften braucht der Mann von heute? Der Grund für die große Verunsicherung ist eine sich rasant verändernde Welt, in der es schwierig geworden ist, mit alten Mustern und Glaubenssätzen wie „Gefühle sind gleich Schwäche“, „Stärke ist gleich Gewalt“, „Frauen müssen gehorchen“ oder „Erfolg um jeden Preis“ durchzukommen, erklärt etwa Professor Toni Tholen, der an der Universität Hildesheim zu Männlichkeit forscht.

Und dann ist da natürlich noch die Emanzipation der Frauen, die uns alle mit neuen und noch längst nicht ausdefinierten Rollenbildern konfrontiert. Die Welt funktioniert nicht mehr nach dem Motto: „Ich Tarzan, du Jane“ – und das erfordert neue Wege, neue Rollenbilder und auch eine neue Männlichkeit, so ist sich die Wissenschaft einig.

Gesucht sind also neue Archetypen in der Männerwelt: „Zu lange sind Männer nach dem Vorbild des einsamen Helden erzogen worden, der sie von ihrem wahren Wesen trennt“,

Friedensforscherin Sabine Lichtenfels.

Neue oder alte Männlichkeit?

Die Lücke der männlichen Verunsicherung füllen dann Männer wie die (Ex-)Präsidenten der USA, Brasiliens, Russlands oder der Türkei . “Alphatierchen wie Trump, Bolsonaro, Putin oder Erdogan erobern die Definitionsmacht, was männlich ist. Je rechter, desto mehr traditionelle Rollenglorifizierung findet statt”, konstatiert Uni-Professor Tholen. Die altbekannten Folgen: Gewalt an Frauen, Femizide und weiterhin ungleiche Behandlung und Unterdrückung von Frauen in Beruf, Gesellschaft, Wirtschaft. Und nicht zuletzt: Umweltzerstörung, Krieg, Vertreibung, Gewalt und Vernichtung von Natur und Leben.

Männer hingegen, die den Weg zu Robert Förg finden, kennzeichnen andere Eigenschaften. Weg mit selbstzerstörenden Eigenschaften.

Bildrecht: Robert Förg

„Zuallererst der Mut, sich mit dem Thema „Mann-Sein“ und der Frage: „Was braucht ein Mann heute“ auf allen Ebenen auseinanderzusetzen“, weiß Förg, der in seinen „Männerkraft Natur Seminaren“ mit 25 Männern eine Woche im Wald verbringt, um genau dieser Frage nachzuspüren. Was dort passiert sei magisch, konstatiert der Coach, der seine Begleitung mit dem Namen „Herzkraft“ versehen hat und regelmäßig der Wandlung beiwohnt, die die Teilnehmer in seinen Seminaren durchlaufen. Das Grundproblem ist nämlich: „Männer sind von ihren Gefühlen und Emotionen abgekoppelt“, so Robert Förg. Tatsächlich sind Männer nicht einmal untereinander, voreinander sicher. Das Grundthema, wenn Männer aufeinandertreffen, herrsche erstmal Konkurrenz, Neid, Missgunst und Misstrauen, so Förg: „Männer sind es gewohnt, die Dinge mit sich selbst auszumachen.“ Deshalb ist es auch so wichtig, einen sicheren Raum zu schaffen, der frei ist von toxischen Themen und dafür gekennzeichnet von gegenseitigem Respekt, Vertrauen, Offenheit und Anerkennung.

Mann spürt sich und schwitzt.

Genau genommen ist dieser sichere Raum in den Männerkraft-Seminaren im Chiemgau alles andere als ein kuscheliger Platz. Es ist eine Plane über einer Lichtung im Wald, mit Lagerfeuer und Zelten, wo die etwa 25 Männer gemeinsam eine Woche lang Aktivitäten „mit hoher Intensität“ durchlaufen. Wie nackt in einen Bach einzutauchen, gemeinsam in der Schwitzhütte zu sitzen, Rauchrituale oder Atem-Sessions zu praktizieren und blind einen Parcours durch den Wald zu bestreiten. „Das Ziel dabei ist, dass Mann sich und seine Gefühle spüren lernt und diesen Kontakt mit sich selbst auch aufrechterhält“, so Robert Förg.

Glücklicherweise wachsen Männer an der Herausforderung und außerhalb ihrer Komfortzone, denn schon allein das, erfordert für viele großen Mut.

Doch die Herausforderung geht noch weiter: In Folge, werden die Teilnehmer angehalten, die eigenen Gefühle und Erlebnisse zu erzählen und mit der Gruppe zu teilen. „Die Erfahrung, dass es eine Gemeinschaft gibt, wo ich offen und ehrlich sprechen kann und ich Unterstützung bekomme, ohne bewertet zu werden, ist für uns Männer sehr heilsam,“ weiß der Coach.

Sich offen zeigen und das Gefühl zu bekommen, in seinem So-Sein anerkannt und nicht verurteilt zu werden ist tatsächlich heilend – das gilt für Männer ebenso wie für Frauen. Die Summe dieser stärkenden Erfahrungen bereiten dann den Weg in Richtung Heilung.

 „Heilung“ ist ein großes Wort in einer Welt, die voll ist von männlicher Gewalt.

Ein Wort, das auch Robert Förg nur zögerlich in den Mund nehmen will. Doch der Austausch und die Offenheit führen zu neuen Erkenntnissen und dem Mut, eigene Bedürfnisse, Werte und Wahrheiten auch anzuerkennen.„Der einzige Weg, der dorthin führt ist: „Fühlen, fühlen, fühlen,“ weiß der Männer-Kenner.

Die Lösung für mehr Frieden auf der Welt und zwischen den Geschlechtern sind also Männer, die ihre Gefühle wieder fühlen und das auch kommunizieren? „Ja“, ist sich Robert Förg sicher. Und dann? „Dann gilt es, diese Erfahrung, Verbundenheit und Offenheit auch in die eigenen Beziehungen zu tragen“, meint er. Denn: „Wenn schon in unseren Beziehungen und in der Liebe so viel Krieg herrschen, ist es kein Wunder, dass sich das auch im Außen spiegelt.“

Bleibt noch eine Frage: Welche Eigenschaften braucht der Mann von heute, um dieser Welt gerecht zu werden? „Der eine braucht mehr Kraft, Zielgerichtetheit und Präsenz, ein anderer mehr Weiblichkeit und Muße, auch einfach mal nichts zu tun,“ erfahre ich.

Als Abschluss und Inspiration sollen hier einige Worte der Liebes-Pionierin und Friedensforscherin Sabine Lichtenfels zitiert werden:

„Was wir an Männern lieben, ist ihre (erotische) Präsenz, aktive Nächstenliebe, ein anteilnehmendes Herz, soziale Verantwortung, mutiges Handeln und die kreativen Impulse eines wachen Geistes. Wir lieben den gewaltfreien Krieger, der den Eros kennt und liebt und der das Leben und die Gemeinschaft schützt, so wie ein liebender Vater, der nicht zulässt, dass sein Sohn in den Krieg zieht, oder seine Tochter sich patriarchalen Vorstellungen beugen muss.“

Auch im Jahr 2024 gilt es also immer noch, mutig die Rollen neu zu definieren und weiter zu erforschen. Männer ebenso wie Frauen. Hoffentlich mit mehr Gefühl für uns selbst und füreinander. Am besten aber, wenn wir das – am Weltfrauentag und überhaupt – gemeinsam machen.

Julia Heuberger- Denkstein

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